Algen und Vergebung #1

Wie soll man sich denn nun selbst vorstellen, wenn man eine Kolumne schreibt? Ein Versuch


Verzeih dir selbst. Das ist der Satz, den ich mir am liebsten in vollem Ernst und vollem Selbstbewusstsein sagen würde. Es gelingt mir nicht so oft.

‚Ich wollte ja immer Musiker werden‘ ist hingegen ein furchtbarer Satz. Er ist fast ein bisschen eklig, denn er ist ausgelutscht und so klebt Spucke aller lutschenden Personen seit den 1960ern daran. ‚Ich wollte ja immer Musiker werden‘ ist ein furchtbarer Satz, aber er stimmt. Ja, ich bin ein gescheiterter Musiker.


Wie also Scheitern und sich selbst verzeihen?

Es fängt ja schon hiermit an: das Instrument, was ich am besten beherrsche, ist die Gitarre. Jetzt bin ich ein weißer Typ in Deutschland, das bedeutet, ich wurde von lediglich 2 musikalischen Stilen geprägt, bei denen die Gitarre eine Rolle gespielt hat:

Der erste Stil sind die klassischen Rocker, die mit den langen Haaren, die mit den langen Solos, die mit den durchkomponierten Traumsequenzen; ein Freund von mir (liebe Grüße ins Rheinland) fasste diese Gruppe zusammen als ‚Cock Rock‘. Denn: textlich unterschieden sich die Songs in ‚ich will dich ficken, Baby‘ (das, was sie im Stadion singen) und ‚warum willst du nicht mit mir ficken, Baby?‘ (die traurige Ballade, Schlusstrack des Albums). Leider fallen auch die coolen Indiebands, vor denen ich als Teenager stand und nasse Höschen bekommen hatte, in diese Kategorie. Klassische Aussage: ‚Wir haben doch nur wegen der Mädchen angefangen, Musik zu machen‘. Schade, Penner. Wär schön gewesen, wenn du wegen der Musik angefangen hättest, Musik zu machen.

Wenigstens haben sich die Cock Rocker überlegt, was sie anziehen, wenn sie auf die Bühne gehen, und das ist das versöhnlichste Attribut, was ich ihnen zugestehen möchte.

Noch nicht einmal das kann die große zweite Strömung der Gitarristen für sich beanspruchen: die deutschsprachigen, poppigen Singersongwriter. Wertgeschätzt werden hier zwar nicht die Bekleidung, dafür aber ‚die Texte‘, ganz besonders aber ‚die Atmosphäre‘ der Songs, die das zwischenmenschliche Äquivalent der Flüssigkeit sind, die beim Auswringen eines Lappens ausläuft: viel Wasser und ein bisschen Dreck.

Nun habe ich also die Wahl: Möchte ich in die Fußstapfen treten des bösherzigen Gitarrenhändlers, der alles hasst außer Eric Clapton und immer noch keine gute Erklärung dafür hat, warum Frauen zwar mittlerweile mehr Gitarren kaufen als Männer[1], aber alle im Internet und nicht bei ihm (hello, Thomann.de, ihr seid die wahren Feminist*innen der Musikindustrie).

Oder aber die Fußstapfen des ‚ich-mach-noch-echte-Straßenmusik‘- Idioten, der seine Egomanie für seidenzarte Empfindsamkeit hält, der weder eine Seite Feuilleton, noch eine Strophe von Haftbefehl ohne Verunsicherung durchlesen könnte; der von seinen Reisen erzählt, als ob die ganze Welt so langweilig sei wie er selbst.

Nun. Ich möchte beides nicht sein. Und dann gehen einem die Vorbilder schon aus.

Keine Vorbilder an der Gitarre und dann noch das: Singen. Der Gesang ist das Tor zum Innenleben, und es ist, als ob alles Verkorkste aus meinem Leben sich zu Schallwellen voller Grausamkeit ballt, sobald meine Stimmbänder aufs Membram des Mikrophons treffen. Kurz: es ist mir peinlich, zu singen.

Einzige Rettung: die Texte hineinhauchen, als ob Billie Eilish sich das von einem selbst abgeschaut hätte, denn das Schreiben, also das kann ich doch wenigstens?

Nun ja, Lyrik? Ja, mir passieren gute Sätze, aber nicht am Stück. Außerdem: ein Lied muss man ja 2 Jahre später auch noch singen, und normalerweise mag ich mein Ich von vor 2 Jahren nicht so besonders. Statt des Refrains müsste ich eine Entschuldigung zu dem ganzen Mist vortragen, oder eine Erklärung, warum ich jetzt doch alles ganz anders sehe, als es der Text suggeriert.

Ich kann kein Musiker sein. Ich habs nicht mal versucht, und ich bin gescheitert.

Meine Mutter sagte mir nie ‚verzeih dir selbst‘. Sie sagte ‚du musst doppelt so gut deutsch können wie die Deutschen‘. Ich kann das jetzt. So bin ich Autor geworden. Denn das bin ich noch viel mehr als ein gescheiterter Musiker. Viel Spaß mit dieser Kolumne.


[1] https://www.papermag.com/fender-guitar-study-women-2613120289.html?rebelltitem=5#rebelltitem5

2 Gedanken zu „Algen und Vergebung #1

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