Algen und Vergebung #8

Das Wetter ist gut, Eiswürfel wurden gekauft, einer wurde sich auf den Bauch gelegt, um mal zu gucken, was passiert. Er schmilzt, denn: Es ist Sommer. Die beste Jahreszeit[1].

Was ist so toll? Kurz: alles.

Zum Beispiel: Schweiß. Der Schweiß, der die roten Hälse in den Trams runterläuft und interessante Muster auf den T- Shirts bildet, der Schweiß, der von der Locke auf den Boden tropft, als ob man eine Nachricht da lassen möchte: ‚Ich war hier‘.

Die Mode. Sommermode ist das Beste. Sommerkleider, Shorts, fancy Sonnenbrillen. Mit jeder nachfolgenden Jahreszeit sehen Menschen zunehmend aus wie Wraps.

Kulinarisch: Lass den Backofen aus, es ist Zeit für Salat; alles auf dem Balkon ist reif. Eis. Schorlen. Die Welt ist gut.

Und dann noch das: alle dürfen sich beschweren. ‚Es ist zu heiß‘, ‚ich will Hitzefrei‘, ‚die Hitze ist schlecht für meine Herz- Rhythmus- Störungen‘. Im Sommer sind die Menschen nachsichtig. Vergleichbares gibt es nur bei Glatteis, aber das ist auch die Jahreszeit des ‚hä, war doch witzig, dass ich dir einen vereisten Schneeball an die Backe geworfen habe‘.

Ab 30 Grad wird alles langsamer. Die Leute gehen langsamer, sie fläzen sich auf der Parkdecke, sie sagen es im Chor: ich habe keine Lust. Und nicht nur die Alten tun das (und die sagen das immer), sondern Menschen aller Generationen. Auch die meiner Generation. Und das ist ein Wunder.

Heute geht es um die Lustlosigkeit und die Millenials.

Oh, wir Millenials! Was haben wir nicht alles besser gemacht als die vorhergegangenen Generationen. Wir haben gelernt, zu akzeptieren, dass wir leiden, wir sind aufnahmefähig und hören zu, wir glauben irgendwie an das Gute, wir sind rücksichtsvoll und wollen immer und immer wieder die Gründe dahinter verstehen.

Wir wollen entkriminalisieren, wir wollen empowern, wir verzeihen.

Aber nicht alles. Eines dürfen wir nicht. Wir wollen die Grasdealer aus den Knästen holen und sie stattdessen füllen mit: Menschen, die keine Lust haben. Denn das darf man nicht haben. Nicht öffentlich und nicht privat.

Wie oft habe ich aus Lustlosigkeit Sachen abgesagt und Leuten in die Telegram- Chats gelogen: ‚Mir geht es heute nicht gut‘, ‚Ich habe zu viel zu tun‘, ‚Mein Balkon ist gerade explodiert, tut mir Leid‘. Das stimmte vielleicht auch, aber der Hauptgrund war es nicht. ‚Ich kann nicht‘ habe ich geschrieben und nicht, was ich wollte: ‚Ich will nicht‘. Und langsam geht mir die Lügerei aufs Gewissen.

Hab ich keine Lust drauf

Dabei ist das gar nicht mein Problem! Ich glaube, es gibt ein gigantisches Missverständnis bei Millenials: Lustlosigkeit ist nicht profan. Lustlosigkeit ist keine Arroganz. Keine Lust zu haben, kann sehr viele Gründe haben: Man mag manchmal Leute nicht sehen, auch die, die man gern hat. Man mag manchmal nicht vor die Tür, obwohl jetzt nicht direkt eine Panikattacke draußen droht. Manchmal mag man einfach so nicht und man möchte nicht direkt losanalysieren, ‚was mit einem los ist‘. Ich weiß nicht, was menschlicher sein soll, als dies alles.

Mir hat noch niemals jemand geschrieben: ‚Ich möchte heute nicht, weil ich keine Lust habe‘. Und so langsam muss ich sagen: Das kann doch alles nicht sein! Haben alle Menschen, die mir nahestehen, Angst, dass ich sie verlasse, wenn sie mich mal nicht sehen möchten? Also genau die gleiche Angst, die ich habe und weshalb ich das nicht schreibe?

Ich bin also kein bisschen besser als ihr. Aber ich möchte ein bisschen besser werden. Ein wenig ehrlicher. Und ich sage euch: Manchmal habe ich keine Lust auf euch alle! Und manchmal werde ich auch in Zukunft dem Gefühl nachgeben. Können wir bitte aufhören so zu tun, als ob wir deshalb Unmenschen wären? Ich kann nicht nur funktionieren oder Depressionen haben, ich will auch was wollen und was nicht wollen. Und manchmal gibt es fürs Nichtwollen keinen besonderen Grund.

Oder, um es mit einem dahergeschmierten Zweizeiler zu sagen:

Sag es, wenn dus sagen musst

ich habe heute keine Lust


[1]Kann Frühlings- und Winterliebe auch verstehen, nur an die Herbstfans sage ich: Ich scheiß auf euch! Alles um euch verrottet und stirbt und ihr atmet tief ein und sagt: ‚wie schön! Pfui.

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