Algen und Vergebung #14

Ich bemühe mich wirklich sehr, Entwicklungen und Debatten in der deutschen Gesellschaft zu verfolgen und einzuordnen. Doch in letzter Zeit gab es einige Debatten, die habe ich nicht verstanden.

Dabei habe ich eigentlich ein gutes Mittel, damit mir das nicht passiert: Am Einfachsten ist es, Leuten zuzuhören und einfach zu glauben, was sie sagen und keine Vermutungen darüber anzustellen, was wohl ihre ‚eigentliche‘, ‚verborgene‘ Motivation ist. Das heißt nicht, dass ich Leute nicht trotzdem absolut unapologetic scheiße finden kann, aber ich sage eigentlich nie: Ne, das ist überhaupt nicht was du willst, du willst eigentlich was ganz anderes und dann ist es ja schlecht, was du sagst, du Faschist.

Mit diesem Grundverständnis, wie andere Leute zu verstehen sind, komme ich jedoch in letzter Zeit nicht weiter:

Da gibt es die berühmte ‚Genderdebatte‘, in der Leute sinngemäß behaupten, die gesellschaftliche Ordnung würde auseinanderfallen, wenn sie das Wort ‚innen‘ aussprächen, und außerdem seien sie auch physisch gar nicht in der Lage dazu.

Das andere ist die ‚Layla‘- Debatte, in der Leute fordern, auf jeder Schlagerveranstaltung müsse dieses eine Lied laufen, sonst bräche die Meinungsfreiheit zusammen. Noch eine Party ohne ‚Layla/ Sie ist schöner, jünger, geiler‘ und wir seien endgültig in der Diktatur.

Das kann doch alles gar nicht sein.

Die müssen doch eigentlich über was anderes reden. Aber Moment, über wen reden wir eigentlich? Wer sind denn die?

Die Alten und die Konservativen, also die, die im Herzen alt sind. Und worüber haben die sich sonst so aufgeregt? Ach ja: Layla und die Genderdebatte sind Unterdebatten vom Schlagbegriff, Achtung: CANCEL CULTURE.

Diese Debatte läuft so: Jemand wird irgendwo ausgeladen, oder jemand fühlt sich irgendwo nicht willkommen, dann fällt der Begriff CANCEL CULTURE und dann schreiben andere Leute, in Deutschland gäbe es das ja gar nicht und alle streiten. Jedes verdammte Mal.


Und so, wie ich diesen Ablauf ein ums andere Mal mitbekommen habe, reifte in mir die Erkenntnis: Die beiden Seiten reden überhaupt nicht über das gleiche Thema. Die einen haben viel messbare Macht, wollen aber die Coolen sein, die anderen sind cool, wollen aber die Macht haben.

Ein Beispiel? Ich finde die zwei wie leere Litfasssäulen angezogenen Typen, die ‚Layla‘ singen, im besten Falle irrelevant, aber ehrlich gesagt erbärmlich. Und die Leute, die das abfeiern, auch. Was werden die verändern? Dass ‚Layla‘ länger auf Platz 1 der Charts bleibt? Keiner von ihnen wird die Gesellschaft verändern. Und das wissen sie auch. Geld haben sie, messbare Macht eben, aber wer findet Leute, die Layla gut finden, mutig oder cool oder schaut zu ihnen hinauf? Genau.

Noch schwerer als die Konservativen haben es nur die Alten.

Stellt euch vor, ihr seid immer wichtig gewesen und jetzt finden Leute Fridays for Future gut?

Diese Bewegung sagt im Grunde genommen: ‚Hey, alte Leute! Ihr habt alles falsch gemacht. In den 80ern waren die Umweltproteste einige der größten in der Gesichte der fucking Bundesrepublik, ihr wusstet also ganz genau, was ihr da tut. Aber ihr habt dann gedacht: Nee, mir sind dann andere Dinge doch wichtiger. Und, dass alle anderen das auch so sehen, weil am Ende ja doch alle ein fettes Auto fahren wollen.
Tja, wir scheißen auf fette Autos und große Einfahrten und Garagen, wir müssen nicht irgendwo hinfliegen, weil es ne Stunde kürzer ist, wir meinen es wirklich ernst und es fällt uns leicht. Weil euer ganzer Stuff wertlos ist. Und dafür habt ihr den Klimawandel links liegen gelassen? Peinlich.‘

Puh, das tut weh. Und, was soll ich sagen: Wahrscheinlich stimmt das sogar. Ich glaube nicht, dass vom 20. Jahrhundert mehr übrig bleiben wird als die rottenden Fässer in den Atommüllendlagern und ein paar Holocaustdenkmäler. Ach, und Popmusik, aber ihr wisst genau, dass das andere waren, die sie hinterlassen haben. Jedenfalls von dem Lebensstil, den Lebensweisheiten der Menschen, die überwiegend im 20. Jahrhundert gelebt haben, da kann gar nichts von übrig bleiben.

Ich würde mir doch nur eins wünschen: Anstatt den Untergang in einem dummen Sonderzeichen zu sehen, gebt doch bitte einfach zu, dass es schmerzt, dass jetzt Andere den spannenden kulturellen Einfluss haben. Zeigt mir doch mal ein bisschen euer Leid, ich kann die Bullshitdebatten nicht ertragen. Dann kommt man vielleicht ins Gespräch und dann stellt man vielleicht ja fest, dass man sich wirklich nicht ausstehen kann und dann, ja dann, können wir uns endlich gegenseitig und im Einverständnis: canceln.

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