Algen und Vergebung #19

Ich habe eine sehr flirty Woche hinter mir. Ich war viel aus, ich habe mit vielen geredet, ich hab ein wenig rumgemacht. Und ich wurde gefragt: Du, als Single, was ist denn jetzt eigentlich bei dir los? Ja, was zur Hölle ist denn los?

Bis Corona war ich 5 Jahre fast durchgängig in Beziehungen oder beziehungsähnlichen Situationen, danach hatte ich erst mal gar keine Lust mehr drauf. Nun sind aber 3 Jahre vergangen, das eigene Leben hat sich stark verändert, und es ist, glaube ich, an der Zeit, sich mal herauszuwagen aus dem verschrobenen Leben als Single.

Jetzt gibt es ein Problem. Ich habe noch nie so wirklich gedated. Eigentlich hab ich immer irgendwie jemanden im persönlichen Umfeld kennengelernt. Aber das wird diesmal nicht so einfach funktionieren. Also muss man daten.

Aber wie? Dating- Apps.

Bei meinem Lebensstil ist es absolut nicht ungewöhnlich, dass das Erste, was im Hinblick auf diesen Gedanken passiert, ist, dass ich auf eine Studie gestoßen bin über Dating- Apps1.

Im Großen und Ganzen ging es hier um Tinder, und meine Annahme war, dass die Leute dort vor allen Dingen wegen schnellem Sex zugegen sind.

Jetzt stellt sich aber heraus, dass ‚Sex‘ einen sehr untergeordneten Wunsch darstellt. Weil, egal, was einem die Männlichkeitsbilder auch erzählen, viele verschiedene Sexpartner*innen bedeuten Irrelevanz und Austauschbarkeit. Und, jetzt ratet mal, was niemand sein will: irrelevant und austauschbar. Wirklich niemand. Es gibt ja Leute, die mir glaubhaft versichert haben, dass sie das nicht so trifft, weil sie einfach durchgefickt werden/ durchficken wollen, aber für mich ist das nichts. Kein einziger One- Night- Stand, keine einzige Aussicht auf einen One- Night- Stand hat mich glücklich gemacht. Irrelevanz und Austauschbarkeit. Muss man wirklich mit denen schlafen? Irrelevant und austauschbar. Was bei Tinder laut der Studie passiert, ist, dass oft beide nicht miteinander schlafen wollen und es trotzdem machen, weil sie glauben, das mache man nun mal so. Die anderen denken also auch noch, wie ich, dass man sich für den schnellen Fick trifft, obwohl es nicht stimmt.

Das Schlimmste an den Dating- Apps ist aber die Beschleunigung. Die häufigste Selbstbeschreibung auf Tinder ist eine Version von ‚Ich mag den Sommer, den Strand und den Wein‘. Warum schreiben die Leute so einen Mist? Wollen sich die Menschen von den Sommer- und Weinhasser*innen abgrenzen? Nein. Die Studie hat herausgefunden, dass die Leute lieber nichts von sich preisgeben, weil sie dann auch nicht verletzt werden (‚Ah, hab ja eh n Scheißaccount‘) und, dass es auch noch mehr Matches dafür gibt! Denn, wenn man spezifisch wird, dann kommt man nicht mehr bei so vielen an. Leute, die was über sich preisgeben, bekommen aber auch nicht die qualitativ besseren Matches, sondern solche, die sich die Profilbeschreibung einfach nicht durchgelesen haben, weil so schnell durchgeswiped wird. Das ist ja ne Katastrophe. Man wird dafür bestraft, ehrlich zu sein.

Auf anderen Plattformen ist es nicht anders. Ich bin mir sicher, dass ich jede Scheißfrage auf OKCupid so beantworten würde, dass der Übereinstimmungsscore mit möglichst vielen Leuten hochbleibt, weil ich ganz genau weiß, dass da hingeschaut wird. Was ich wirklich denke, ist nicht zweitrangig, sondern egal.

Dating- Apps sind also Scheiße. Aber: Ich habe ja gesagt, ich habe eine flirty Woche hinter mir und manchmal, ganz selten, da überrasch ich mich selbst mit meinem eigenen Selbstbewusstsein. Ich habe rumgefragt in meinem Umfeld, was ich denn machen soll, wenn ich keine Dating- Apps nutzen möchte, und sie meinten: Nutz doch deine Kolumne. Oh mein Gott, vielleicht ist das wirklich ne gute Idee.

Verkuppelt mich!

Es ist mein vollkommener Ernst. Die Leute sagen: der nutzt Twitter als Datingplattform oder Instagram oder sonst ein Scheißnetzwerk, in dem Leute so tun, als ob sie das total ausblenden könnten, dass sie Nähe suchen, aber ich habe ja sowas wie meine eigene Plattform hier und die ist so klein und fein, dass ich mir erfolgreich eingeredet habe, mich mit euch, liebe Leser*innen, auf Augenhöhe zu befinden.

Also zu mir: Ihr kennt mich ja. Nur ein paar Hinweise. Ich bin auf dem heterosexuellen Spektrum unterwegs, nichts macht mich so glücklich wie Kunst (besonders Musik, Literatur und Geschichten allgemein), nichts ist so entfremdend wie jemand, die nur deutschsprachige Singer- Songwriter gut findet. In letzter Zeit ist mir aufgefallen, was für eine wahnsinnig aufblühende Wirkung es auf mich hat, wenn ich mit jemandem russisch sprechen kann. Das würde also auch helfen.

Ich bin Raucher und werde wohl nicht so schnell damit aufhören, wer keinen Raucher küsst, küsst mich auch nicht. Dafür hab ich schöne Hände. Und ich möchte nach 10 Jahren Leipzig wirklich gerne mal nach fucking Belantis. Vielleicht ja mal mit einem Date.

Ihr kennt jemanden? Dann, und ich kann nicht fassen, dass ich das schreibe: Schreibt mir.

1Hier wird nicht nur die Studie zitiert, sondern auch 2 Interviews mit der Autorin
https://www.deutschlandfunkkultur.de/dr-tinder-100.html
https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/sozialpsychologin-johanna-degen-niemand-ist-auf-tinder-um-austauschbaren-sex-zu-haben

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert