Es ist mal wieder Zeit für die Subkolumne ‚… wird euer Leben besser machen‘, in der ich zur Abwechslung mal jemanden richtig gut finde, anstatt, wie üblich, Dinge, Narrative oder gleich einen ganzen Menschen zu verurteilen. Nach der ersten Ausgabe vor ein paar Monaten über Samira El Ouassil erreichten mich unterschiedlichste Reaktionen, von anonymen User*innen, die behaupteten, ich könne aber gut loben bis hin zu Freund*innen, die meinten: ‚Ich finds besser, wenn du Leute scheiße findest.‘ Nun gut, ihr Letzteren, ihr müsst da jetzt durch, denn über sie muss ich schreiben.
So viel sei schon gesagt: Sie ist der witzigste Mensch der Gegenwart im deutschsprachigen Raum. Macht euch bereit auf einen Ausflug in Humortheorie und was das Leben lebenswert macht bei:
Ilona Hartmann wird euer Leben besser machen
Ilona Hartmann, geboren 1990 in Backnang (nicht ausgedachter Name), Autorin für allerlei Zeitschriften und Sendungen, Moderatorin eines Podcasts bei der ZEIT und einer Radiosendung bei Radio Fritz, Romancière, ‚berühmt‘ geworden durch Twitter.
Schon in dieser Beschreibung steckt ein Wunder. Der witzigste Mensch Deutschlands und es begann alles auf Twitter? Wie soll das denn gehen? Twitter ist doch der Ort, an dem alle einfach ihre Haltung reinschreiben, und manchmal eben im ‚Setup/ Punchline‘1– Format, aber es ist immer nur die eigene Haltung, und nichts ist so vergänglich wie die eigene Haltung zum Geschehen. Im besten Fall sind diese Tweets witzig, aber schon 3 Tweets weiter vergessen, schlimmstenfalls sind sie ‚WiChTiG‘ und werden in irgendeiner Internet- Zeitung als Beweis für die Debatten auf dem Kurznachrichtendienst mitverlinkt.
Hartmann macht also etwas Anderes. Sie ist nicht die Setup/Punchline- Königin, sondern: Ihre Tweets sind Ausdruck ihrer Haltung und nicht bloß Haltung selbst. Damit sind sie auch nicht hyperbeschleunigt wegkonsumierbar, sondern bleiben hängen.2
irgendwas passiert im gesicht von männern ab etwa 27 eine art materialerschöpfung gepaart mit dem sicheren gefühl trotzdem zu den gewinnern zu gehören
Wie schon andere Rezensent*innen von Ilona Hartmann festgestellt haben, sind das ’schnörkellose Beobachtungen‘ mit ‚trockenem Witz‘, aber da müssen wir jetzt mal tiefer rein. Woher kommen die Beobachtungen denn her? Warum haben einige Leute die ‚Begabung‘, Sachen scheinbar ‚von außen‘ zu sehen, wenn sie doch eigentlich selbst in der Situation stecken?
Absurditäten zu erkennen ist eben nichts von außen, sondern hochgradig ‚von innen‘. Man muss ein gutes Gespür für sich selbst entwickeln. Das bedeutet: Man geht durch die Welt und dann sagt jemand etwas oder man sieht etwas und dann kommt der Punkt, da weht einem ein Unbehagen durch den Bauch. Es ist wenig genug, dass man es schmerzlos wegschieben kann, aber es gibt Leute, die machen das nicht, sondern denken so lange darüber nach, warum sie sich denn jetzt so komisch gefühlt haben, bis sie sich selbst davon überzeugen: Na klar, die Situation war ja absurd, deshalb hab ich mich unwohl gefühlt!
Ilona Hartmann ist die Großmeisterin meiner Generation in der Beobachtung ihres eigenen Unbehagens.
Zum Thema Zuckerentzug: ‚zuckerentzug tag 16 zum dessert 30 briefmarken anlecken‚.
Zum Tod im 21. Jahrhundert: ‚nach meinem tod soll meine asche in die cloud geladen werden‚.
Zu unerwiderter Liebe: ‚lasst euch nix einreden wenn euer crush nicht schreibt liegt das daran dass die person nicht dazu kommt wegen kontinuierlicher masturbation euretwegen‚.
Normalerweise wird Beobachtungskraft oder ‚trockener Witz‘ mit kühlem Kopf und einer Distanz assoziiert, vielleicht so Typ Harald Schmidt, aber wir sind ja schon längst über die Typen drüber, die ‚über den Dingen stehen‘. Wie wir eben festgestellt haben, steht Ilona Hartmann ja auch ganz und gar nicht über den Dingen drüber. Vielmehr liegt sie unter ihnen drunter.
Hartmann hat verstanden: Das Leben ist schwer. Wer was anderes behauptet, lügt. Der Humor rührt daher. Denn nichts ist witziger, als wenn das Leben nicht so läuft, wie man es gern hätte. Das ist das Witzigste überhaupt.
Nun, darauf sind schon viele gekommen. Worauf nicht so viele gekommen sind, ist, dann nicht aufzugeben oder ein Block Trockeneis zu werden, sondern trotzdem zu versuchen, etwas Gutes in der Welt zu finden.
So ist es nicht verwunderlich, dass Hartmanns Interessen etwa Mode, Musik und Literatur sind und das sind nicht zufällig die Orte, wo sich die Verzweifelten hinbegeben, um etwas wirklich Schönes in der Welt zu finden. Und warum? Weil man sich nicht damit abfinden will, dass das Leben so ist, wie es ist.
Mit dieser Haltung Humor zu machen, das können wirklich nur die Großen. Und selbst jemand wie Jon Stewart, der das auch macht, dem müssen die Tränen in die Augen schießen, damit er diese Haltung ausdrücken kann. Hartmann braucht das nicht. Vielleicht liegt es am Internet (ein Ort, wo keine Träne fließt), aber sie kommt komplett ohne Rührseligkeit aus, ohne Mitleid, und trotzdem ist alles da, trotzdem kommt niemand auf die Idee, die Melancholie sei nicht zu sehen.
ich aber stehe hier als letzte melancholikerin in einer welt in der sich alle schon entschieden haben für zynismus oder mischkonsum
Das ist natürlich ein biblisch angehauchter ironischer Tweet gewesen, aber er trifft ganz genau auf sie zu. Das ist sie. Die letzte (eigentlich: beste) Melancholikerin des Humors.
Wenn ihr euch in liebevolle Arme begeben wollt, die euch nicht verarschen und nicht unterfordern, dann begebt euch in die Tweets, Podcasts, Radiosendungen, Romane und was auch immer sie in Zukunft machen wird von Ilona Hartmann. Denn man kann schon alles scheiße finden, aber bei ihr tut es einfach nicht mehr weh.
Bleibt mir nur, mich einer ihrer Forderungen anzuschließen:
jede*r sollte mit erreichen der volljährigkeit einen kleinen berg zum runterschreien bekommen
1Extrem langweilige humortheoretische Überlegung: Es ist gut, wenn der Witz am Ende kommt, denn dann haben die Leute Zeit zu lachen
2Alle Zwischenüberschriften sind verlinkte Tweets von Ilona Hartmann