Algen und Vergebung #25

Das wars. Der Cis- Mann ist gecanceled. Ich bin genderqueer.

Was bedeutet das?


Hier findet ihr eine gute Definition. Ich bevorzuge momentan genderqueer dem fast identischen ’non-binär‘ oder ‚genderfluid‘, weil diese beiden Begriffe für mich entweder ausstrahlen, dass man ein festes Geschlechterbild außerhalb oder zwischen den beiden Geschlechtern hat (non-binär) oder ein fluides eben, was sich auch mal als Mann oder Frau fühlt (genderfluid). Ich habe noch nicht richtig herausgefunden, was es bei mir ist. Ich bin nur einfach kein Mann.

Nein, ehrlich, was bedeutet das?

Wie schon in der vorvergangenen Kolumne beschrieben, ergeben mit dieser Beschreibung auf einmal Dinge Sinn seit Beginn meiner Pubertät. Ich habe seitdem immer wieder ‚unmännliche‘ Sachen gemacht und nach außen gekehrt, nicht, weil ich damit eine geile neue Männlichkeit ausstrahlen wollte, sondern, weil ich gar nichts mit Männlichkeit zu tun haben wollte.

Mir ist klar, dass ich weiterhin männlich gelesen werde, also, dass man es ‚auf den ersten Blick‘ mit einem Mann zu tun hat, mir ist klar, dass ich irgendwann zur Prostatakrebsvorsorge gehen muss, aber that’s it. Wenn das männlich ist, fein. Mehr gibts aber nicht zu holen bei mir.

Generell verbinde ich das nicht so sehr mit Überlegungen über den Körper: Ich mag meinen Körper nicht besonders, aber nicht, weil mir dunkle Haare im Gesicht wachsen, habe auch derzeit einen Oberlippenbart. Ich mag, dass ich eine tiefe Singstimme habe und werde auch weiterhin Nick Cave oder Ville Valo in Originaltonlage mitsingen. Kurz: Die Chromosome sind eben nicht Schuld an der Entfremdung von der Männlichkeit.

Moment mal, hat das vielleicht was mit der Sexualität zu tun?

Viel nein und ein bisschen ja. Nein in dem Sinne, dass sich irgendwas an meiner Sexualität geändert hätte dadurch. Aber, ich kann mich nicht davon frei machen, dass ich Androgynität und Weiblichkeit attraktiv finde, aber nicht Männlichkeit. Und es gibt in mir auch den Wunsch, androgyn oder weiblich zu sein, aber nicht männlich. Dass das wirklich gar nichts miteinander zu tun hat, kann ich nicht mit Sicherheit ausschließen.

Wirst du dich jetzt anders kleiden, aussehen oder verhalten?


Ich mag meine Augenpartie tatsächlich. Habe festgestellt, dass meine Wimpern vergleichsweise hell sind, Wimperntusche bewirkt also gewaltige Wunder. Das wird getragen werden, sobald ich das selbst bei mir gut genug hinbekomme, um damit auf die Straße zu treten. Momentan ist das NICHT der Fall. An dieser Stelle nochmal sehr laute Shoutouts an die ganzen 11- jährigen aus den 6. Klassen, die das irgendwie bei sich hinbekommen, obwohl man in der (Prä-)Pubertät die Feinmotorik eines vollgeladenen LKWs hat.

Weiß nicht, wie sehr sich mein Verhalten ändern wird. Ich glaube, mein Verhalten jetzt ergibt schon viel mehr Sinn, wenn ich genderqueer und nicht cis bin.

Pronomen, Schmonomen

Ich weiß, das ist eine der größten Debatten in der Gesellschaft um Transpersonen.

Mich persönlich würde es nicht wirklich verletzen, wenn jemand ‚er‘ sagt. Vielleicht ändert sich das ja. Ihr dürft aber auch sehr gerne ‚they‘ sagen oder noch lieber: Das schwedische ‚hen‘. Das hat nämlich 2 Vorteile: Erstens ist es ein Wort, was genau für Leute wie mich erfunden wurde (‚han‘ und ‚hun‘ bedeuten er und sie, ‚hen‘ bedeutet: eine Person) und keine weiteren Bedeutungen hat. Zweitens muss ich mir keine Deutschen anhören, die versuchen, das ‚th‘ in ‚they‘ auszusprechen, ihr könnts nämlich immer noch nicht. Das ist kein Vorurteil, das ist ein Urteil.

Was mir schmerzen würde, ist nicht das Pronomen, sondern, wenn die Identität nicht akzeptiert wird. ‚Du bist nicht, was du sagst, was du bist‘. Sowas. Da reichts auch, wenn das ausgestrahlt wird, das muss noch nicht mal jemand sagen. Darum gehts eigentlich.

Viele ändern auch ihren Vornamen. Wie ist es mit dir?

Ach, der Name. Es wäre schon irgendwie schlau, einen genderneutralen Namen zu verwenden. Das Problem ist: Ich habe mir schon den jetzigen Namen selbst gegeben. Ja, genau. Ich spreche ihn nämlich so aus, dass er sowohl auf deutsch als auch auf russisch falsch ausgesprochen ist. Ich sage nämlich Boris Flekler mit kurzem ‚o‘ und kurzem ersten ‚e‘. Damit habe ich mir einen Namen gegeben, der meine Herkunft ‚zwischen‘ den Ländern anzeigt, es ist nämlich so halbdeutsch/ halbrussisch ausgesprochen. Zwischen den Ländern, zwischen den Gendern. Jetzt soll ich schon wieder den Namen ändern, dabei bin ich erst seit ein paar Jahren zufrieden mit dem Namen. Nee, machen wir nicht. Zumindest jetzt nicht.

Sag mal, Boris, ist das nicht ein Trend?

Ich bin in einer Familie aufgewachsen, in der Transsein nonexistent gewesen ist. Da wurde sich noch nicht mal drüber lustig gemacht, so außerhalb des Lebens war diese Vorstellung. Ich bin größtenteils auf dem Land aufgewachsen, da war eigentlich die ganze Gesellschaft so.

Wie hätte ich mir denn diese Frage überhaupt stellen sollen, was für ein Geschlecht ich habe, wenn ich nicht andere Transpersonen gesehen, mit ihnen geredet oder ihnen zugehört hätte? Und das ist natürlich deshalb passiert, weil es mehr und mehr Leute gibt, die sich außerhalb von cis-Mann/ cis-Frau einordnen. Und so sind auch die Puzzleteile bei mir zusammengefallen. Unterschwellig war das alles schon lange da, erinnere mich, 2018 in ner Therapie meine Unzufriedenheit mit der eigenen Männlichkeit angesprochen zu haben. Die Antwort der Therapeutin war: ‚Sie intellektualisieren wieder, Herr Flekler.‘ Hab ich ihr geglaubt. Habe das Thema dann gelassen. Heute würde ich ihr nicht glauben.

Kurz: Es ist ein Domino- Effekt, es werden auf einmal mehr Leute, die trans sind, das ist richtig, aber viele dieser Leute waren es eigentlich schon vorher und hatten in der Gesellschaft von vor ein paar Jahren einfach keine Chance, das selbst erkennen zu dürfen. Das ist jetzt anders. Das ist kein Trend, das ist Fortschritt.

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