Algen und Vergebung #28

Buongiorno an die Slamszene. Dieser Text hier geht an euch. Und liebe Grüße an alle anderen, die trotzdem weiterlesen: Auch ihr könnt sicher was mitnehmen.
Ich komme gerade von den deutschprachigen Meister*innenschaften im Poetry Slam, dem Slam23, der Tour de France des Poetry Slams, das größte jährliche Event, ein Festival über 4 Tage. Noch nie war ich so drin wie jetzt in der Szene und noch nie habe ich mich befähigt gefühlt, etwas darüber zu schreiben, aber heute sind wir so weit.

Der Wutschalter sprang einmal um

Ich brauche lange, bis mein Wutschalter umschlägt und ich so aussehe, als ob ich gleich ein Nasenbein prelle. Einmal war es soweit bei der Veranstaltung.

Folgende Situation: Sonntag, eine Stunde vor meinem Halbfinale, es wurde gerade die Reihenfolge gelost, ich habe die Stunden vorher verbracht, mich für einen Text zu entscheiden. Jetzt kommt jemand auf mich zu. Ich versuche, dass hier so anonym wie nötig darzustellen, aber wir können ruhig mal sagen, dass es ein Mann ist.

Ich kenne ihn seit knapp 10 Jahren, und ich möchte hier gleich sagen, dass er ganz nett und ganz witzig ist und kein schlechter Mensch und dass es hier explizit nicht um die Person, sondern um was Strukturelles geht.

In den knapp 10 Jahren (das sind etwa 5 Millionen Minuten) haben wir uns häufiger gesehen, aber nie länger als 2 dieser 5 Millionen Minuten am Stück miteinander gesprochen. Wir viben einfach nicht so. Ich wüsste nicht, worüber ich mit ihm reden sollte.

Vor diesem Halbfinale, kurz nach der Auslosung, taucht er nun also auf, und versucht mich davon zu überzeugen, einen anderen Text als den, den ich lesen werde, zu lesen. Ich bin Startplatz 6, die letzte Person meiner 3er- Gruppe, und auf Startplatz 4 und 5 sind zwei Leute in der Kategorie ‚witzige Texte‘, ich solle also lieber keinen witzigen Text lesen (weil ich nicht witzig genug bin?), sondern meinen Herkunftstext über den Ukrainekrieg lesen, damit könne ich mich besser absetzen. Ich habe dann ‚Nein‘ gesagt, es wurde weiterhin auf mich eingeredet und dann sprang der Wutschalter um, ich habe ganz tief in die Augen geguckt und gesagt: ‚Bist du bescheuert‘. Nicht gerade gewaltfreie Kommunikation, aber manchmal muss man die eigene Grenze nicht mit nem Stock, sondern mit nem Presslufthammer in den Sand ziehen. Das Wort ‚Nein‘ hat nur vier Buchstaben und ist doch eines der am schwersten verständlichen Wörter in der deutschen Sprache.

Was mich aufgeregt hat, war erstens, dass es offensichtlich eine Fehlinterpretation gab über das Verhältnis, in dem wir zueinander stehen. Ich würde niemals zu ihm gehen und ihm sagen, was für einen Text er lesen soll, es sei denn, er fragt mich.

Und zweitens: Diese absolute Abwesenheit von Zweifel, er hätte Slam komplett verstanden und jede*r solle sich nach diesem Verständnis richten.

In der Slamszene gibt es diese Menschen wie Sand am Meer. Was das Problem daran ist (denn es ist nicht immer so harmlos wie in der eben beschriebenen Situation), dazu komme ich hier noch.

Einmal während der Meister*innenschaft habe ich geweint

Auslöser dafür war, dass eine Person, recht jung, unglaublich begabt, mit gewissem Erfolg, mit Slam nach diesen Meister*innenschaften aufhören wird. Das hat eine persönliche Ebene, ich sehe diese Person damit wesentlich seltener, denn wir kennen uns nur über die Szene und das ist für sich genommen einfach traurig. Die andere Ebene sind die Beweggründe der Person für den Ausstieg aus dem Poetry Slam. Ich kenne diese nicht im Detail, aber jedenfalls das stimmt: Das Gequatsche in der Szene ist mindestens Mitschuld.

Diese Person hat Texte geschrieben, die die meisten der hier Lesenden niemals hinkriegen würden, diese Texte haben mich daran erinnert, was alles eigentlich möglich ist in der Bühnenliteratur und ich bin selbst wieder ein bisschen offener geworden in dem, wie ich meine eigenen Texte schreibe.

Jetzt kommen wir zu den Sand am Meer- Menschen, auf die ich in der ersten Situation bereits hingewiesen habe. Es wird so viel gelästert, so oft von Menschen, die denken, sie haben das Format komplett verstanden, wüssten, was hier ‚hingehört‘ und was nicht, wie man zu sein hat und wie nicht.

Für manche sind die Regeln des Poetry Slams die Regeln ihres Lebens geworden. Es wird abgeurteilt, bewertet, das Leben sind 7 Wertungstafeln von 1 bis 10. Auf der Bühne macht das Spaß, es macht MIR auf der Bühne Spaß, aber manche kriegen es aus ihrem Privatleben nicht raus.

Wenn wir solche Arschlöcher sind, dass diese Person, die jetzt aufhört und so schreiben kann wie sie das kann, wenn diese Person das Gefühl hat, wegen uns aufhören zu müssen, dann geht das echt so nicht weiter. Wenn wir nichtmal so jemanden halten können, für was machen wir das denn? Und diese Person ist auch nicht die erste Person, die ich kenne, die aus diesen Gründen aufgehört hat. Deshalb: Nun ein Appell.

Die Poetry Slam- Szene ist ein rohes Ei

Einige Dinge dürfen nicht vergessen werden. Was wir machen, ist gar nicht so relevant wie das intern vielleicht wirkt. Wir sind nicht Ärzte ohne Grenzen, wir sind keine Sozialarbeiter*innen. Die Welt wird sich, wenn es morgen keinen Poetry Slam mehr gibt, wunderbar weiterdrehen, nicht mal ein Schokoriegel im Supermarkt wird fehlen. Aber wir, die in der Szene drin sind, wären absolut gebrochen. Es ist das, was wir haben.

Bevor das nächste Mal jemand weggeurteilt wird, bitte folgenden Gedankengang haben: Poetry Slam lockt eher Leute mit einer gewissen Instabilität an. Es ist kein normaler menschlicher Impuls, auf die Bühne zu gehen, es ist kein normales menschliches Verhalten, diese geballte Form von Aufmerksamkeit aushalten zu können oder sogar zu wollen. Ich will hier weiß Gott nicht alle pathologisieren, aber in unserer Szene findet sich mehr psychische Instabilität als in der Gesamtgesellschaft.

Dazu kommt, dass alle gegenseitig befreundet oder zerstritten sind, lange, komplizierte Vergangenheiten miteinander teilen, es wird Intimität und Ablehnung die ganze Zeit miteinander ausgetauscht. Diese Szene ist einfach ein rohes Ei.

Darauf dann die eigenen Vorstellungen zu packen, wie Slam funktionieren solle und Ansagen an die anderen zu machen, das hält das rohe Ei einfach nicht aus. Poetry Slam ist kein klassisches Unternehmen, es gibt keine Chef*innenetage, Poetry Slam wird durch diese Art der sozialen Hierarchie platzen.

Bitte, ich appelliere an euch, egal wie sicher man sich ist in den eigenen Überzeugungen, manchmal muss man sich halt einfach in ein bisschen Demut üben. Und ich verstehe, wie schwierig diese Nachricht ankommt bei einer Gruppe von Menschen, die einen Teil ihres Lebens damit verbringen, für ihre eigenen Ansichten im Applaus zu baden. Demut auf der Bühne gibts nicht und da gehört sie vielleicht auch nicht hin. Aber sie gehört in den Backstage, in die Aftershows und zum Kaffeetrinken mit Menschen aus der Szene. So viele unnötige Tränen könnte man sich alleine so sparen. Appell Ende.

Und nun: Wie klasse alles andere war

Ich bin trotz allem so glücklich, dabei gewesen zu sein. Diese Kolumne konnte ich nur schreiben, WEIL ich so glücklich war, da zu sein. Ich hätte viel stärker darauf gepocht, mal mitgenommen zu werden, als die Slamveranstaltenden noch eine gottgleiche Macht bei der Startplatzvergabe hatten, wenn ich gewusst hätte, wie gut mir das gefallen wird.

Das neue Nominierungssystem hat dafür gesorgt, dass Leute, die immer im Stechen ausscheiden (wie ich) auch mal dran sind. Das ist schön und ich bedanke mich dafür! Das Orga- Kommitee war eh super.

Ich schreibe hier diesen Text nach 14 Stunden Schlaf, einen Tag nach den Meister*innenschaften. Ein bisschen was konnte ich schon sacken lassen, aber das Tagebuch glüht und mir werden noch ein Haufen Begegungen, Komplimente und Situationen ins Bewusstsein geraten, die jetzt noch gar nicht präsent sind. Ich werde mich bei einigen von euch melden, und kann kaum erwarten, einige andere von euch wiederzusehen.

Bleibt nur, noch von einer besonders schönen Erfahrung zu erzählen: Meinem Halbfinalauftritt. Ja, genau, der vom Anfang der Kolumne. Ich neige zum Schnellvortrag und dann auch noch zum Nuscheln, und das war in ner Kirche diesmal und da ist ja klar, was meine Sorgen sind. Obwohl der Mikrocheck Hoffnung gegeben hat, hatte ich trotzdem erstmal Schiss, wie gut die Leute meine Worte verstehen, aber nach ner halben von 3 Seiten habe ich gemerkt, dass alles so geht, wie ich das will und hatte einen der besten Auftritte in 14 Jahren Poetry Slam. Der Bühnenaufgang war ziemlich lang, und ich gehe schnell runter nach dem Text, aber diesmal konnte ich gar nicht so schnell gehen, dass mich die Wand der Zuneigung (die in der Kirche eben auch nochmal nachhallt) nicht schon getroffen hätte.

Nach der Veranstaltung kamen mir bekannte und unbekannte Leute auf mich zu und haben über den Text gesprochen auf eine Art und Weise, wie das selten passiert: Mir war sofort klar, dass die Menschen mir zugehört haben, nicht ein einziges generisches Kompliment habe ich bekommen. Ein paar Auftrittsanfragen habe ich dann auch noch bekommen.

 Ich mein, was will ich mehr, ne 10? Das ist doch, mal ganz unter uns, ein wenig albern.

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