Algen und Vergebung #15

Es geht wieder los – ein Comebacktext. Und, Herrgott, kann ich alle Bands verstehen, die ihr 7tes Comeback haben, es fühlt sich gut an, wieder da zu sein. Atmet tief ein – es folgt:

Eine kleine Geschichte des Schreibens des Boris F


Ich komme ja von der Poetry Slam- Bühne. Wurde mal von einer Therapeutin gefragt, ob ich wegen mir selbst oder wegen des Publikums schreibe. Habe darauf keine Antwort gewusst, aber auf dem Weg nach Hause dann kam die Erkenntnis: Natürlich gehe ich auf die Bühne für die Anerkennung. Und zwar, weil Applaus Anerkennung von so vielen Leuten gleichzeitig ist, dass es eigentlich zu viel auf einmal ist. Man kann sich dafür nicht mehr bei jedem einzelnen bedanken. Für jemanden wie mich ist erst zu viel genug. Und dafür geht man eben das Risiko ein, sich vor vielen Leuten gleichzeitig zu blamieren. Im Deutschen gibt es kaum geflügelte Ausdrücke, die keine schiefen Bilder sind, aber, an alle von euch, die das nicht erlebt haben: ‚Im Applaus baden‘ ist wirklich ziemlich genau, wie es sich anfühlt. Manchmal trifft auf einen eine Wand von Lärm, nachdem der eigene Name gesagt wurde und ich beuge mich herunter, immer, weil dann niemand sieht, wie sehr ich mich freue und ich niemanden angucken muss dabei. Denn sonst wäre es ja zu persönlich.

Und so ein komischer Widerspruch ist das ‚Auf-der-Bühne-sein‘. Man tut so, als ob man sich nackt macht, aber eigentlich ist man eine verlogene, bereinigte, ‚liebt mich, findet mich schlau oder was auch immer, denkt das über mich, was ich will, dass ihr über mich denkt‘- Version von sich selbst. Das finden dann Leute wahnsinnig authentisch, so authentisch, dass ich irritiert davon bin, wenn ich darauf angesprochen werde, ob das ‚wirklich so ist‘, was ich auf der Bühne erzählt hab. Ich weiß, gerade Poetry Slam ist immer an der Grenze zwischen fiktional und biographisch, aber ich kann euch gleich sagen: Ich finde mein Leben innerhalb meines Kopfes wesentlich interessanter als außerhalb.

Diesen Oktober ist es jetzt 13 Jahre her, dass ich das erste Mal auf einer Slam- Bühne stand. Und im Laufe der Zeit ist was passiert. Mir gefiel irgendwann nicht nur der Applaus, sondern noch mehr: das Schreiben. In der lokalen Slamszene gab es eine Zeitlang den Witz, ich würde für jeden Auftritt einen neuen Text schreiben und das ist deshalb erwähnenswert, weil man eigentlich mit 3-4 Texten im Jahr gut zurecht kommt, die dann vor Publikum wie im Stand-Up getestet und geschliffen werden, bis sie optimal zu den deutschsprachigen Meisterschaften sind, weil man dort am meisten netzwerken kann.

Ich dachte ja immer, meine Mutter wäre Schuld daran gewesen, dass ich schreiben wollte.

Sie hat leidenschaftlich gelesen (natürlich keine deutschsprachige Literatur, sie war ja auch keine Deutsche) und wollte aus mir auch einen Leser machen. Dagegen habe ich mich natürlich mit aller Kraft gewehrt, wie es sich für einen verlorenen Sohn gehört. Aber der ganze Eskapismus und das Sinnstiftende von Geschichten und deren Erzählungen, das wurde mir dann doch eingepflanzt. Und das kam dann irgendwann in meinen 20ern auf der Slambühne raus, dass ich doch vor allem schreiben möchte, und die Bühne Mittel zum Zweck ist.

Doch eine Sache nagte an mir, und ich wusste nicht so recht, was ich mit dem Nagen anfangen soll. Vielleicht wollte ich ja gar nicht schreiben, sondern die Anerkennung meiner Mutter, wie es sich auch für einen verlorenen Sohn gehört. Ich war mir sicher, dass sie viel glücklicher geworden wäre, wenn sie Autorin geworden wäre, es wenigstens probiert hätte, anstatt diesen ganz anderen Berufsweg einzuschlagen. Und ich dachte: Vielleicht will ich sie ja vervollständigen und ich mache das gar nicht wegen mir.

Im Juni 2020, als die Kastanien geblüht haben, als ob sie nicht mitbekommen hätten, dass Pandemie gewesen ist, da war meine Mutter plötzlich tot.

Und das Wundersamste ist passiert. Ich wollte immer noch schreiben, ich wollte es noch viel mehr. Ich habe das nicht wegen ihr gewollt, sondern wegen mir selbst.

Jetzt gibt es im Poetry Slam eine Sache, die mich unglaublich stört. Und das ist das Zeitlimit. Als ich als sehr junger Mensch gesessen habe in Backstages mit erfahrenen, erfolgreichen Leuten, fielen oft Sätze wie ‚Wenn du den Text nicht auf 5 Minuten kürzen kannst, dann ist er halt nicht gut‘. Und ich hatte damals schon den Impuls gehabt, denen einfach eine zu knallen. Wieso hasst ihr Literatur so? Wieso sucht ihr euch ausgerechnet den dümmsten Aspekt des Poetry Slams aus, der wirklich nur dafür da ist, den Wettbewerb fair und vergleichbar zu gestalten und damit möglichst viele Leute drankommen und interpretiert das zur hohen Kunst? Nur dann kann man einen guten Text schreiben, am Arsch. Natürlich ist das Zeitlimit scheiße. Vor allen Dingen, wenn man schreiben will.

2020 habe ich also herausgefunden, dass ich unbedingt schreiben möchte und unbedingt länger schreiben möchte als bloß einen Slamtext.

Ich schreibe jetzt einen Roman.

Oh ja, ganz genau. Und wenn ich will, dann wird diese Romanwelt eure Welt verbiegen. Dann werdet ihr euch wünschen, selbst so etwas zu machen. Dann werdet ihr nur noch die Zigaretten rauchen, die die Protagonistin raucht. Dann werdet ihr nur noch in Romanzitaten reden.

Wer einen Roman schreibt, ist ein Gott über die Welt. Jedoch bin ich kein guter Gott. Und ich stocke so richtig. Man weiß ja auch überhaupt nicht, was man da tut. An der Kasse im Rewe wusste ich: Ich ziehe die Gurke über die Kasse, es macht ‚Beep‘ und auf dem kleinen Monitor steht ‚Gurke‘. An der Kasse gab es ständig Feedback, ‚du machst alles richtig, Boris‘, ‚fein gemacht‘ oder ‚mach schneller‘. Wenn man einen Roman schreibt, gibts gar nichts. Niemand beept, niemand sagt einem, dass man gerade was Gutes tut oder sich verläuft und: Niemand tritt einem in den Arsch.

Auch dieser Text wurde nur wegen mir geschrieben: Ich dachte, wenn ich es euch erzähle, dann ist das wie ein Arschtritt. Ich kann mich auf noch mehr ‚wie weit bist du?‘ einstellen als bis jetzt, auf mehr ‚worum geht es‘ und mit jedem mal wird die Antwort darauf vielleicht schärfer und präziser und überhaupt besser und am Ende kommt vielleicht was raus, was nicht nur wegen mir ist, sondern zur Abwechslung auch was für euch, denn bei was fühlt man sich schon besser, als beim Lesen? Die Romanwelt, in die man reingeworfen wurde, mit der eigenen Phantasie auszumalen, mit der eigenen Lebenswelt zu verwischen, die Erzählung zur eigenen zu machen? Bei Applaus vielleicht.

Ein Gedanke zu „Algen und Vergebung #15

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