Algen und Vergebung #37

Geht auf Google Maps. Gebt dort meinen Geburtsort ‚Paderborn‘ ein. Google schickt euch dann nach Ostwestfalen, ihr seht die Umrisse von Paderborn, eingezeichnet in einer gepunkteten roten Linie. Ihr seht, dass mehr als die Hälfte dieses Gebietes Wald (grün eingezeichnet) und nur der Teil in der Mitte wirklich ,das bebaute Stadtgebiet ist (weiß eingezeichnet). Zoomt jetzt raus und behaltet das weiße Stadtgebiet im Auge. Ein paar mal gezoomt und ihr stellt fest: Im Norden von Paderborn, direkt an der Stadtgrenze eigentlich, ist ein fetter, fetter grauer Fleck, der ist um ein Vielfaches größer als die Stadt. Grün ist Wald, weiß ist Stadt, aber was ist grau? Dazu kommen wir später.

Als meine Eltern 1992 nach Deutschland kamen, taten sie das, weil Deutschland ihnen ein Versprechen gab: Wir sind gar nicht mehr die Nazis von früher und wir haben auch ganz viele Stellschrauben verändert, damit das nicht noch einmal passiert. Guckt mal, wir haben uns eine ganz neue Verfassung von den Alliierten aufschreiben lassen, das waren gar nicht wir selbst und wir leben jetzt nach den Regeln der Anderen, da kann euch ja gar nichts passieren.

In der Schule hab ich dann gelernt, dass Hitler auch deshalb an die Macht kam, weil die Weimarer Republik zwar ne Demokratie war, aber ganz anfällig für allerlei Umstürze, aber jetzt leben wir zwar auch in ner Demokratie, aber die sei ja ganz anders und deshalb muss man sich keine Sorgen machen. Guck mal, Boris, der dumme Hindenburg hat Hitler einfach die Macht gegeben, das wäre heute nicht mehr möglich. Stimmt. Gut, hätten die Nazis bei dem krassen Rückhalt in der Bevölkerung halt n klassischen Militärumsturz machen können, und dann wäre auch wieder alles gleich gelaufen, aber pscht.

So kam bei mir eine Frage auf schon im Geschichtsunterricht und in letzter Zeit immer öfter

Was ist denn eigentlich der Unterschied zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik?


Warum soll Letztere wehrhafter gegen irgendwas sein, was mich umbringen wird? Einen Unterschied konnte man nicht übersehen, jedenfalls nicht in den 90ern und auch nicht in den 00ern in Paderborn und sicher auch nicht davor. Ja, Deutschland war souverän, aber es gab so viele Besatzungssoldaten, so viele Kasernen, so viele bewaffnete Brit*innen, hätten die wirklich daneben gestanden und in der Nase gebohrt, wenn sich die Deutschtümelei wieder zur exzessiven Aggression aufgebrüht hätte? Und die Spuren der Besatzung waren überall.

Paderborn hat keine Altstadt, weil nichts mehr da war zum Aufbauen nach dem 2. Weltkrieg, meine Großeltern leben bis heute in einem Stadtviertel, was komplett als Unterkünfte für die Brit*innen gebaut wurde (und daher mit den niedrigstmöglichen Standards erbaut, dafür aber sehr beliebt bei Migrant*innen war), der beste Radiosender in Paderborn war natürlich der für die britischen Besatzungssoldaten (weshalb ich schon mit 10 Jahren Arctic Monkeys gehört habe) und: Der gigantische graue Fleck auf Google Maps, der die vielfache Größe der Kernstadt Paderborn hat, ist der Truppenübungsplatz Senne und das war kein Übungsplatz für die Bundeswehr, sondern, na klar, für die britischen Soldaten.

Gerade auf der Karte sieht man, die Besatzung war ein gigantischer Waffenlauf im Nacken der Deutschen, die nicht zu diskutierende Forderung, es diesmal nicht zu verkacken. In der DDR war das offensichtlich, aber in Ostwestfalen auch.

Doch nun sind die Soldaten weg, auch die, die vor 20 Jahren noch da waren.

Die Kasernen sind zu, den Radiosender gibts nicht mehr und auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes entsteht ein Golfplatz. An die Stelle, wo jahrzehntelang ständig besoffene Waliser ihre Ausbildung an der Waffe genossen, sollen nun Millionäre aus Meschede treten und ein bisschen Spaß daran haben, dass arme Leute nicht durchs Gate kommen und sie ein bisschen unter sich bleiben können. Vielleicht kommt dann auch Christian Lindner mal vorbei.

OKOK, es gibt doch bestimmt noch was Anderes, was die Bundesrepublik besser kann

Naja, theoretisch. Den Verfassungsschutz gibts ja nicht umsonst, die können rechtsextreme Gefahren offiziell erkennen und tun das auch manchmal. Selbst die Bullerei hat das ein oder andere Mal rechtsextreme Terrorzellen ausgehoben. Man könnte sogar Parteien einfach verbieten und es zu ner Straftat erklären, sich damit doch zu assoziieren.

Und da hab ich gedacht: Wäre es nicht an der Zeit, das mit einer ganz bestimmten Partei zu machen und da hab ich gesehen, dass das Andere auch fordern. Leute wie ich, aber auch irgendwelche CDUler, doch passiert ist nichts.

Und so bleiben die Unterschiede zwischen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik oft theoretisch. So oft, dass ich mich jetzt darauf verlassen muss, die Deutschen hätten was gelernt und das wäre dann das, was tatsächlich die zwei Demokratien voneinander unterscheidet. Und das macht mir Angst. Auf die Selbstheilungskräfte der deutschen Gesellschaft kann man sich nicht verlassen. Die blöden Erzählungen von der so gelungenen Aufarbeitung des Nationalsozialismus bringen mir Magengeschwüre, Leute, die aufarbeiten (das ist nämlich noch gar nicht abgeschlossen!), interessieren eine verschwindend geringe Minderheit. Dass der deutsche Mob so groß wird, dass es lebensgefährlich wird, sich dem entgegenzustellen, ist eine vollkommen reelle Gefahr, jedenfalls in einigen Teilen der Republik.

Und damit sind wir auch schon bei den Wahlen in Sachsen am Sonntag

Die AfD ist hier stärker als in irgendeinem anderen Bundesland, ergo: Nirgendwo wird es schwerer, gegen sie zu koalieren.

Die CDU hat gesagt, sie regiert nicht mit der AfD. Gut! Sahra Wagenknecht hat gesagt, sie regiert nur mit Parteien, die der Ukraine nicht mehr helfen wollen. Das ist bisher nur ne Option für die AfD. Scheise. Ich wünsch mir so gerne, dieses mal nicht Recht zu haben. An dieser Stelle ein Zitat von Jan Böhmermann (der jetzt Gastbeiträge für die ZEIT schreibt, was auch kein gutes Zeichen ist): ‚Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist in erster Linie nicht eine linkspopulistische, demokratische oder gar linke Bewegung, sondern eine autokratische.‘
Was das heißt? Eine Koalition ohne BSW UND AfD ist in Sachsen fast Wunschdenken. Wenn das BSW mit der CDU koaliert, dann haben wir ne autokratische Partei in der Regierung. Wenn das BSW einfach mal sagt: Wir machens mit der AfD, weil sie auch für ‚Frieden in der Ukraine‘ ist, dann haben wir zu 99% einen AfD- Ministerpräsidenten, egal, was sonst passiert, weil die beiden zusammen so stark sind, dass das hier in Sachsen reichen würde.

Und dann sehen wir, was der Unterschied zwischen Weimarer Republik und BRD ist. Verboten habt ihr sie nicht, obwohl die sächsische AfD als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Und nun?

Gut, als Land Sachsen wird man nicht viel an der ‚Flüchtlingspolitik‘ ändern können, außer, dass man versucht, Einwander*innen noch mehr zu schikanieren als ohnehin schon, und man bewegt sich da ja eh schon im, sagen wir, Graubereich der Legalität. Die größte Gruppe von Geflüchteten in Sachsen (die Ukrainer*innen) werden sicher die volle Friedensliebe Sahra Wagenknechts zu spüren bekommen. Von Förderungen für alles, was schön ist (Demokratieprojekte, linke Zentren, Kulturszene usw), können wir uns dann eh verabschieden. Und dann? Was macht dann die Bundesrepublik? Sagt die dann: Ah, doch nicht so schlimm? Nee, das ist doch schlimm? Zu was fühlt sich dann der deutsche Mob in Sachsen ermutigt? Was passiert dann?


Ich erwisch mich manchmal bei dem Gedanken, mir die Alliierten zurückzuwünschen (die Briten jedenfalls). Und dann denke ich: Das kann doch nicht wahr sein, dass alles so scheiße ist, dass ich das lieber hätte. Aber einfach so wie jetzt kann es eigentlich nicht ernsthaft weitergehen mit der Bundesrepublik.

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